Lässt sich ein nahezu perfektes Motorrad nochmals spürbar verbessern?!
Diese Frage stellte ich mir, als ich die neue R1200 R für die Saison 2016 bestellte. Es handelt sich um die unverkleidete BMW Roadster mit dem 1,2 ltr großen Boxermotor. Eine Maschine, die von manchen Fachzeitschriften als „Jahrhundertboxer“ bezeichnet wurde und die sehr viele namhafte Auszeichnungen einheimste wie „Sieger bei der Wahl des Motorrads des Jahres 2007“ und „Sieger beim Alpen-Masters 2007“.
Ausschlaggebend für diese Erfolge waren ihre hervorragende technische Substanz und das Gesamtkonzept des BMW Roadsters. Die R1200 R punktete vor allem mit folgenden Features: topstabiles Fahrwerk, präzise Lenkung, enorme Wendigkeit, hervorragendes Integral ABS, fantastischer Boxermotor und Eignung als Lastesel mit enormer Zuladung.
Eigentlich kann man ein perfektes Motorrad gar nicht mehr verbessern, aber das Prädikat „perfekt“ gilt genau genommen nur für den Zeitpunkt der Auszeichnung und der technische Forstschritt kann solch ein Produkt über die Jahre etwas veralten und gegenüber der Konkurrenz verblassen lassen. Zum Jahr 2015 gab es wieder eine gründliche Modellüberarbeitung, bei der die R einen komplett neuen Boxer-Motor erhielt, ein neues Fahrwerk bekam und viele technische Gimmicks eingebaut wurden. Durch eine optimale Gestaltung der Ansaugwege senkrecht durch den Kopf von oben nach unten und eine Luft/Wasser-Kühlung konnte man das Drehmoment um 20% auf 125 Nm und die Leistung auf 125 PS anheben. Weitere technische Änderungen sind:
Nasskupplung, upside-down-Gabel , Schaltassistent Pro, Keyless Ride, Traktionskontrolle und diverse anwählbare Fahrmodi.
Als ich „meine“ Roadster im April beim Händler abhole, fällt mir sofort das frische und etwas freche Design ins Auge. Sie wirkt kräftig und durch ihren deutlich sichtbaren Gitterrohrrahmen zugleich etwas filigran, aber nicht zu kantig oder zu futuristisch, um nicht gleich die eingefleischte Fangemeinde zu verschrecken. Alle Baugruppen sind harmonisch integriert, die Bedienelemente aufgeräumt und die Proportionen stimmig. Die Sitzposition passt und die gesamte Ergonomie ist wie gewohnt auf Anhieb bequem. Die Armaturen sind mit vielen Schaltern gespickt und man ahnt, dass die neue R viele Eingriffsmöglichkeiten bieten wird. Bordcomputer, elektronisches Fahrwerk, Tempomat, Griffheizung etc. wollen ja per Knöpfchen bedient werden. Den analogen Tacho vermisse ich hier ebenso wie einen übersichtlichen Drehzahlmesser oder eine Benzinuhr. Alles wurde nun in eine LCD-Anzeige gezwängt, die zwar recht schön zwischen Lenker und Scheibe integriert wurde, aber eine ziemliche Umgewöhnung erfordert.
Ein kurzer Druck auf den Anlasser und sofort bollert der dicke Boxer los. Sein Herz schlägt nicht ganz so weich und geschmeidig wie der luftgekühlte Vorgänger, sondern von der Verbrennung her härter und mechanisch kräftiger. Mit einem extrem lauten Krachen lässt sich der erste Gang eingelegen und die Maschine macht einen kleinen Satz nach vorne wie wenn man die Kupplung nicht sauber betätigt hätte. Soll das der Preis für die Nasskupplung mit Antihopping-Funktion sein ?
Der Gasgriff lässt sich jedenfalls schön leicht und ruckfrei drehen und das Anfahren klappt tadellos. Die Gasannahme über die 2 elektrischen Drosselkappen ist wunderbar weich und sauber dosierbar und aus der Schaltbox dringen nun verhaltenere Töne. Nach wenigen Minuten bin ich aus der Stadt und kann nun die Landstraße unter die Räder nehmen. Hier probiere ich ein weiteres Feature dieser Boxer aus – den Schaltassistenten, der Schalten ohne Kupplung erlaubt. Anfangs lupfe ich beim Schaltvorgang wie gewohnt kurz den Gasgriff, um den Schaltvorgang zu unterstützen. Es geht auch ohne Gaswegnahme, was für feinmotorische Menschen wie mich etwas Überwindung kostet. Am besten klappt die kupplungslose Schalterei jedoch erst bei Drehzahlen oberhalb 3000 Touren.
Es ist eine wahre Pracht zu erleben wie direkt dieser Boxermotor am Gas hängt und man spürt sofort, dass hier Welten zwischen dem alten Motor und dem neuen Boxer liegen. Die Beschleunigung wird von einem bassig trompetenden Sound untermalt und das Fahrwerk ist eine Wucht, so leichtfüßig hatte sich noch keine R bewegen und in die Kurven einlenken lassen. Die neue Roadster lässt sich fast so leicht dirigieren wie eine 800er und das Einlegen in die Kurve erfolgt nahezu von alleine. Schnelle Spurwechsel sind ohne Kraftaufwand möglich und die Maschine folgt fast den Gedanken. An das digitale Kombiinstrument muss man sich erst mal gewöhnen, obwohl es 3 verschiedene Anzeigen-Designs gibt, zwischen denen man hin und her schalten kann. Bezüglich Ablesbarkeit und Entspiegelung könnte BMW hier durchaus noch optimieren bzw. ein farbiges Design verwenden.
Die Sitzposition ist (wie gehabt) absolut perfekt. Die Mischung aus sportlicher Sitzhaltung und langstreckentauglicher Sitzposition ist perfekt gelöst und selbst nach stundenlanger Fahrt konnte ich über keinerlei Zwicken oder Schmerzen klagen. Auf der Roadster fühle ich mich absolut wie „king on the road“, sehr souverän und jederzeit in der Lage, kurze und knappe Überholmanöver auszuführen und dank des phänomenalen Fahrwerks wieder sicher auf die Fahrspur zurück zu wechseln.
Die Bremsen arbeiten sehr kraftvoll, die Verzögerung ist ohne Makel und durch das ABS absolut top beherrschbar. Es macht richtig süchtig, mit dieser Maschine um die Kurven zu wetzen. Am liebsten natürlich auf Bergstraßen, die es im Allgäu und auf dem Weg zur Schweiz genügend gibt. Dadurch, dass man beim Schalten nicht mehr die Kupplung betätigen muss und beide Hände fest am Lenker halten kann, vermittelt es dem Fahrer ein enormes Quantum an zusätzlicher Sicherheit, was sich beim Überholen und insbesondere in Kurven positiv bemerkbar macht.
Ja, dieses 2015er Modell lässt sich wesentlich leichter dirigieren als das 2013er Modell und hier
liegen fast Welten zwischen beiden Modelljahren. Erstaunlich, wie das die BMW-ler schaffen konnten. Bei Überholmanövern am Berg erlebt man die wahre Freude am Fahren wenn man selbst bei Vollgas die Gänge in der Schaltbox durchfeuern kann. Sogar das runter schalten ist ohne Kupplung und ohne Zwischengas möglich. Die Maschine macht das absolut perfekt, sofern man wie gesagt 3000 Touren auf der Uhr hat. Der Windschutz hinter der Speedster Scheibe, die ich für meine Maschine gewählt hatte, ist sehr gut. Bis zu einer Geschwindigkeit von 160 km/h lässt sich der Fahrtwind gut ertragen und die Maschine ohne irgendwelche Pendelneigung über die Autobahn treiben. Es gibt auch 2 Fahrwerkeinstellungen, sodass jeder seine Maschine individuell programmieren und der Fahrbahn Beschaffenheit anpassen kann. In der Praxis dürften mit der neuen R wesentlich bessere Beschleunigungszeiten erzielbar sein, weil sie absolut perfekt ausbalanciert ist und einen bärenstarken Motor hat, der durch die elektrischen Drosselklappen direkt am Gas hängt. Erwähnenswert noch das Keyless ride, wodurch man ohne den Zündschlüssel ins Schloss stecken zu müssen mit dem Funk-Schlüssel in der Jackentasche die Maschine bewegen kann.
Der neue Boxer macht dem Namen alle Ehre und wird garantiert wieder einige Preise abräumen, da bin ich mir sicher. So viel Spaß wie mit der aktuellen Roadster hatte ich mit keiner BMW zuvor und ich muss sagen – wieder mal ein absolut perfektes Motorrad – aus heutiger Sicht. Ob die Leistung von 125 PS reicht, das muss jeder selber entscheiden. Ich meine ganz uneingeschränkt ja, denn man hat mit dieser Maschine unheimlich Fahrspaß, man ist mit ihr voll souverän unterwegs und vor allem die Lässigkeit mit der der Boxer das Drehmoment aus dem Keller schüttelt, ist schon phänomenal.
Dass der Verbrauch bei dieser Fahrweise und trotz stärkerem Motor im Bereich von 5 Litern oder weniger liegt, ist bemerkenswert. Ich verbrauchte zügig gefahren ca. 4,7 ltr/100 km – genauso wenig wie ihre Vorgängern – das ist super.
Auch die Reifenwahl von BMW – serienmäßig sind Metzeler Roadtec Z8 aufgezogen – ist optimal. Die R baut mit diesen Reifen eine super Traktion auf, neigt auch in Kurven nicht zum Schmieren und bleibt somit jederzeit kontrollierbar.
Gibt’s irgendeinen Mangel – irgendeinen Wermutstropfen bei dieser Maschine?
Ja. Die Tatsache, dass der erste Gang speziell betriebswarm nur mit einem sehr lauten Klong einzulegen ist. Hiermit erschreckt man die Passanten und man muss wirklich Angst haben, dass das Getriebe irgendwann mal Schaden nimmt.
Und wie gesagt das Cockpit, was keinen Drehzahlmesser wie gewohnt hat und in welchem sich morgens die Sonne spiegelte. Der Trend zum LCD-Cockpit ist wohl nicht mehr aufzuhalten und irgendwie kriegt man wohl die ganzen Informationen in einem analogen Cockpit nicht mehr unter.
Mir wäre es lieber, weiterhin einen analogen Drehzahlmesser vor der Nase zu haben mit digitaler Geschwindigkeit im LCD-Display und mit Zusatzinfos von Bordcomputer und co in Farbe.
Aber irgendwo möchte jeder Hersteller noch kleine Freiräume für Verbesserungen lassen, damit sich der Kunde bei der nächsten Modellüberarbeitung an etwas Neuem erfreuen kann.
Technische Daten der BMW R1200R:
Motor |
1190 ccm 2-Zylinder Boxermotor |
Leistung |
92 kW ( 125 PS) // 125 Nm |
Reifen auf Testmotorrad |
Metzeler Roadtec Z8 |
Leergewicht fahrfertig |
232 kg |
Tankvolumen |
18 l |
Testverbrauch |
4,7 l/100km |
Verbrauch lt Werk |
3,9 l/100km |
Preis Testbike |
15.860 Euro |